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Wenn Gedanken leise tanzen – Reflexion als Brücke zwischen mir und dir

– Andrea Auerswald © 2025

Andrea Auerswald

19. Juni 2025

Reflexion ist mehr als ein Nachdenken. Sie ist Beziehung. Zu uns selbst. Zu anderen. Sie ist der stille Moment, in dem unsere Vergangenheit uns fragt, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen.

Dieser Fachartikel lädt dazu ein, Reflexion neu zu verstehen – nicht als Methode, sondern als innere Ausrichtung. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch Kindheit, pädagogisches Handeln, familiäre Beziehungen und das Miteinander im Team.


Wie verändert sich unser Tun, wenn wir wirklich hinschauen? Was macht Reflexion mit unserem Menschsein? Ein Beitrag für alle, die nicht nur denken, sondern auch verbinden wollen – sich selbst und andere, mit Herz und Haltung.


Einleitung

Reflexion – ein großes Wort. Und doch beginnt sie im Kleinen: Im Innehalten nach einem Satz, im Blick zurück auf eine Begegnung, im feinen Zittern, wenn wir spüren: Etwas war anders.


Reflexion ist mehr als Nachdenken. Sie ist Beziehung – zu mir selbst, zu dir, zu dem, was zwischen uns liegt. In diesem Artikel begeben wir uns auf eine Reise durch die Räume der Reflexion – in der Kindheit, in der Arbeit mit Menschen, im gelebten Miteinander. Wir fragen: Was macht Reflexion mit unserem Menschsein? Wo beginnt sie? Und was verändert sich, wenn wir wirklich hinschauen – nicht nur auf andere, sondern auf uns selbst?


Reflexion in der Kindheit – wenn das Ich erwacht

Kinder reflektieren nicht in Worten – sie reflektieren im Spiel. Sie wiederholen Situationen, legen Rollen an, beobachten Reaktionen. Das Puppenspiel, das Rollenspiel, das kindliche Erzählen – all das sind Formen der Rückschau. Reflexion beginnt nicht mit Sprache. Sie beginnt mit Wahrnehmung.


Ein Kind, das einem anderen wehtut und später in einer Geschichte sagt: „Der Bär hat den Hasen geschubst, aber das war keine gute Idee“, zeigt mehr als Fantasie. Es zeigt Selbstbezug. Diese frühen Formen kindlicher Reflexion brauchen Spiegel – keine Belehrung. Erwachsene, die nicht urteilen, sondern fragen: „Was hast du gespürt? Was war dir wichtig?“ helfen dem Kind, sich selbst zu verstehen.


Wenn Kinder erleben, dass ihre Gedanken ernst genommen werden, wenn sie ihre Handlungen betrachten dürfen, ohne sofort verurteilt zu werden, entsteht Selbstbezug – und daraus wächst Verantwortung. Reflexion ist dann nicht nur ein innerer Vorgang, sondern der Beginn von Ethik: Ich spüre, dass mein Verhalten Wirkung hat. Und ich kann es verändern.


Reflexion in der Arbeit mit Menschen – von Haltung und Herz

Wer mit Menschen arbeitet, lebt im Zwischenraum – zwischen Resonanz und Reaktion, zwischen Nähe und Distanz, zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Reflexion ist hier kein Zusatz, sondern Fundament. Sie schützt vor Automatismen, vor Projektionen, vor Überforderung.


Ein Kind schreit. Eine Kollegin schweigt. Ein Vater kritisiert. Und ich? Reflexion bedeutet: innehalten – bevor ich antworte. Reflexion fragt: Was macht das mit mir? Was löst es in mir aus? Welche Anteile bringe ich mit?


So entsteht ein innerer Raum, in dem ich entscheiden kann, wie ich handeln möchte – nicht nur, wie ich gerade fühle. Und hier liegt der entscheidende Punkt: Reflexion führt nicht ins Grübeln, sondern ins Gestalten. Sie ist kein Rückzug aus dem Leben, sondern ein Rückweg in die Verantwortung.


Pädagog:innen, Therapeut:innen, Leitungspersonen – sie alle brauchen Räume, in denen sie das eigene Erleben sortieren, das eigene Tun betrachten können. Nicht, um sich zu rechtfertigen, sondern um wachsen zu dürfen. Denn wer reflektiert, handelt bewusster. Und wer bewusster handelt, wirkt menschlicher.


Reflexion in Familien – zwischen Nähe, Schmerz und Wachstum

In keiner Beziehung ist Reflexion so nah und so notwendig wie in der Familie. Hier berühren sich Vergangenheit und Gegenwart, Muster und Möglichkeiten. Reflexion in der Familie bedeutet, alte Glaubenssätze zu hinterfragen. Zu erkennen, wann man in alten Rollen spricht. Zu spüren, wo man eigentlich um Liebe bittet, wenn man kritisiert.


Ein Vater merkt nach einem Konflikt, dass er den Satz seines eigenen Vaters wiederholt hat. Eine Mutter fragt sich nach dem Abendessen, warum sie so gereizt war – und findet die Antwort nicht im Kind, sondern in ihrem eigenen Tag. Ein Kind traut sich, am nächsten Morgen zu sagen: „Ich wollte gestern eigentlich nur, dass du mich in den Arm nimmst.


“Reflexion macht sichtbar, was unter der Oberfläche liegt. Und das verändert: Den Ton. Die Haltung. Die Bereitschaft, sich gegenseitig neu zu begegnen.


Es ist kein Zufall, dass Familien, in denen reflektiert wird, oft weniger perfekt wirken – aber menschlicher, offener, weicher. Weil nicht das Funktionieren zählt, sondern das Verstehen.


Reflexion im Miteinander – das, was uns verbindet

Reflexion ist nicht nur ein innerer Prozess – sie ist ein Geschenk im Dialog. Wenn ein Team nach einer schwierigen Situation gemeinsam schaut: Was hat gut funktioniert? Wo waren Spannungen? Was wünschen wir uns anders? – dann entsteht nicht nur Klarheit. Es entsteht Vertrauen. Nähe. Verbindung.


Reflexion im Miteinander macht aus Gruppen Gemeinschaften. Sie ermöglicht Perspektivwechsel, Empathie, Fehlerfreundlichkeit. Und sie hat Folgen: Konflikte werden besprechbar. Entscheidungen tragfähiger. Prozesse langsamer – aber nachhaltiger.


Ein reflektierendes Team entwickelt sich weiter – nicht durch Druck, sondern durch Dialog. Eine reflektierende Partnerschaft reift – nicht durch Harmonie, sondern durch Wahrhaftigkeit.


Und immer wirkt Reflexion zurück: Was wir erkannt haben, können wir neu gestalten. Reflexion verändert nicht nur, wie wir denken – sie verändert, wie wir leben.


Nachklang – ein persönlicher Gedanke

Dieser Artikel ist mehr als eine fachliche Auseinandersetzung. Er ist auch ein Spiegel. Ein Spiegel dessen, was mich bewegt, wenn ich über Reflexion nachdenke: das Bedürfnis, Menschen zu begleiten. Sie zu ermutigen, sich selbst zuzuhören. Ich glaube daran, dass in jedem Menschen etwas Einzigartiges wohnt – eine Stimme, die gehört werden möchte. Eine Kraft, die wachsen will. Und oft beginnt sie zu sprechen, wenn es still wird.


Reflexion ist der Raum, in dem wir erkennen dürfen, dass wir nicht festgelegt sind. Dass wir lernen, wachsen, umkehren, neu beginnen dürfen – nicht für andere, sondern für uns selbst.


Ich wünsche mir, dass jeder Mensch diese Freiheit spüren kann: Zu fragen, Wie geht es mir heute? Und zu antworten, Wie möchte ich morgen leben?


Denn Menschsein bedeutet nicht, perfekt zu sein. Es bedeutet, wahrhaftig zu sein. Und genau dafür ist Reflexion unser stiller, treuer Begleiter.


Ein leiser Schlussgedanke

Reflexion ist der Ort, an dem unser Innen mit dem Außen in Berührung kommt. Sie ist der Moment, in dem wir erkennen: Ich bin nicht nur das, was ich tue – ich bin auch das, was ich sehe, wenn ich hinschaue.


Literaturverzeichnis

Böhmer, M. (2019). Selbstreflexion in der pädagogischen Praxis.

Beltz Verlag.Hüther, G. (2018). Wie Träume wahr werden – Über die Kraft innerer Bilder. Vandenhoeck & Ruprecht.Juul, J. (2009). Leitwölfe sein – Liebevolle Führung in der Familie. Beltz.Oevermann, U. (2001). Reflexivität als Bedingung professionellen Handelns.

In: Müller, D. (Hrsg.), Theorie und Praxis professionellen Handelns.

Schmidt, M. (2021). Reflektiert handeln – Impulse für Teams und Einrichtungen. Cornelsen Scriptor.

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