Zwischen Klang und Stille – Vom Zauber des echten Miteinanders

– Andrea Auerswald © 2025
Andrea Auerswald
11. Juni 2025
Worte können trennen. Oder verbinden. Dieser Fachartikel lädt dazu ein, den Alltag neu zu betrachten – mit einem empathischen Blick auf das Miteinander.
Die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg wird hier nicht als Methode erklärt, sondern als Haltung – eine Einladung, einander wieder zuzuhören. Und sich selbst dabei nicht zu verlieren.
Zwischen Worten und Welt – Gewaltfreie Kommunikation unter Erwachsenen
1. Eine Haltung, die Beziehung trägt
Die vier Schritte der GFK – Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte – sind bekannt und hilfreich. Doch sie allein machen noch keine gewaltfreie Kommunikation. Im Zentrum steht vielmehr die innere Bereitschaft, den Menschen hinter dem Verhalten zu sehen. Und ebenso den Menschen in sich selbst wahrzunehmen.
Wer in dieser Haltung spricht, tut dies nicht, um zu überzeugen, zu siegen oder zu erklären. Sondern um sich mitzuteilen – und um Verbindung zu ermöglichen.
Diese Form der Kommunikation braucht Mut zur Echtheit. Und sie braucht Zeit. Denn in ihr wird nicht sofort reagiert, sondern zunächst gespürt: Was fühle ich wirklich? Was ist mir gerade wichtig? Und: Was könnte das Gegenüber gerade brauchen?
2. Gefühle als Einladung zum Verstehen
Gefühle sind keine Störung im Gespräch – sie sind Wegweiser. Marshall Rosenberg betonte, dass Gefühle Ausdruck davon sind, ob Bedürfnisse erfüllt oder unerfüllt sind. Wenn dieser Gedanke ernst genommen wird, verändern sich Gesprächsdynamiken grundlegend.
- Wut zeigt: Eine Grenze wurde überschritten.
- Trauer erinnert an Verlust – oder an das, was fehlt.
- Scham macht sichtbar: Die Zugehörigkeit ist bedroht.
- Angst ruft nach Sicherheit, Klarheit, Schutz.
- Freude lässt erkennen: Etwas Wertvolles ist gerade da.
Diese Gefühle – oft unangenehm, manchmal schmerzhaft – fordern nichts anderes als Beachtung. Nicht als Schwäche, sondern als lebendiger Ausdruck des Menschseins.
3. Gelebte Verbindung im Alltag
Gewaltfreie Kommunikation bedeutet nicht, jedes Gespräch nach einem festen Schema zu führen. Sie wirkt gerade dort, wo Sprache sonst nur funktioniert: in kleinen, zwischenmenschlichen Momenten.
Ein Beispiel aus dem Lebensalltag: Eine Freundin sagt ein Treffen kurzfristig ab. Wieder einmal. Statt mit einem leisen Groll zu reagieren, könnte ein Gespräch in etwa so beginnen: „Als du unser Treffen heute abgesagt hast, habe ich mich enttäuscht gefühlt. Ich hatte mich gefreut, dich zu sehen – und es ist mir wichtig, gemeinsame Zeit zu haben. Ich möchte gern wissen, wie es dir damit geht.“
4. Fehlerfreundlichkeit als Grundlage des Menschlichen
Niemand spricht immer gewaltfrei. Kein Gespräch gelingt vollkommen. Doch gewaltfreie Kommunikation lebt nicht von Perfektion – sondern von Bereitschaft.
Eine fehlerfreundliche Haltung erlaubt es, nachträglich zu benennen, was nicht gelungen ist. Sie macht Platz für Rückfragen, für Entschuldigungen, für ein neues Beginnen. In ihr steckt das Wissen: Jeder Mensch macht es manchmal ungeschickt. Und das ist in Ordnung.
5. Nichts Neues – und doch so wesentlich
Die Idee, einander zuzuhören, mit Achtung zu begegnen und Konflikte nicht eskalieren zu lassen, ist nicht neu. Sie ist alt wie das Menschsein selbst. Die gewaltfreie Kommunikation erinnert lediglich daran. Sie bietet Worte für das, was intuitiv oft gespürt wird – aber nicht immer geäußert werden kann. Und sie zeigt Wege, wie dies im Alltag umsetzbar ist: ohne großen Aufwand, aber mit innerer Klarheit.
Schlussgedanke
Gewaltfreie Kommunikation ist kein Idealbild. Sie ist ein Weg. Ein Üben. Ein Beginnen – immer wieder neu. Dort, wo Menschen einander zuhören, ohne sich verteidigen zu müssen. Dort, wo Sprache getragen ist von Achtung. Und dort, wo Fehler dazugehören dürfen, entsteht eine andere Art des Miteinanders: Aufrichtig. Zart. Echt. Eine Sprache, die nicht trennt – sondern trägt.
Literaturverzeichnis zur Gewaltfreien Kommunikation
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens.Junfermann Verlag, 13. Auflage, 2016.
➡️ Das Grundlagenwerk zur GFK – mit vielen Beispielen, praktischen Übungen und der Erläuterung der vier Schritte.
Marshall B. Rosenberg: Konflikte lösen durch gewaltfreie Kommunikation.Junfermann Verlag, 2004.
➡️ Ein kompakter Praxisratgeber mit konkreten Konfliktlösungsansätzen – besonders hilfreich im Alltag.
Ingrid Holler: Giraffentango. Geschichten aus der Praxis der gewaltfreien Kommunikation.Junfermann Verlag, 2010.
➡️ Mit vielen anschaulichen Erzählungen aus Alltag und Beruf – alltagsnah und leicht zugänglich.
Liv Larsson: Wut, Schuld und Scham: Gefühle verstehen – einfühlsam kommunizieren.edition g, 2013.
➡️ Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit herausfordernden Gefühlen – fundiert und praxisnah.
Klaus Karstädt: Gewaltfreie Kommunikation im Beruf. Konflikte entschärfen, Beziehungen stärken, Vertrauen fördern.Junfermann Verlag, 2. Auflage, 2018.
➡️ Fachlich fundiert – gut geeignet für Erwachsene in pädagogischen, sozialen und beruflichen Kontexten.
Arun Gandhi: Wut ist ein Geschenk: Das Vermächtnis meines Großvaters Mahatma Gandhi.
Lübbe Verlag, 2017.
➡️ Eine persönliche und philosophische Auseinandersetzung mit Wut als menschlicher Kraftquelle – inspirierend im Geiste der GFK.